Nik Brückner schrieb auch etwas über SubTerraMachIneA auf den Babyblauen Seiten. 🙂
—–
1994 verletzten Unbekannte eine mächtige, mehr als 300 Jahre alte Eiche bei Hauenstein in der Pfalz, um die vergangene Generationen traditionell ihre Feste feierten. Die Bestürzung der Hauensteiner war groß, aber trotz aller Bemühungen erholte sich die Dicke Eiche nicht mehr von dem tiefen Sägenschnitt: 2011 musste sie aus Sicherheitsgründen gefällt werden. Ihre Überreste befinden sich immer noch an dem Ort, an dem die Eiche einst stand. Die Täter wurden nie gefasst, die Gründe für ihre Tat sind unbekannt.
Gerd Weyhing, der ganz in der Nähe lebt, hat diesem Baum einen dreißigminütigen Longtrack gewidmet. Er beginnt mit einem einfachen, etüdenhaften Pianomotiv, das auf drei aufsteigenden Tönen beruht. Auf den ersten Hör klingt es ein wenig plastilinhaltig, auf den zweiten, dritten und alle weiteren auch. Doch bald wird dieses erste Motiv durch eine Variante seiner selbst ersetzt, schneller, flüssiger, der Bass tritt mit einem Viertonmotiv hinzu, und nach und nach werden neue, zusätzliche Instrumente hinzugefügt, die nach und nach neue Motive beitragen. So entsteht ein dichtes, oft polymetrisches Geflecht.
“Melodie wird überschätzt” sagt Weyhing, und ich weiß, was er damit meint. Immerhin identifizieren die meisten Proghörer ihren Prog nicht über Melodie, sondern über Rhythmik. Das heißt aber nicht, dass dieses Album nicht melodiös sei. Weyhing reiht sich in die Nachfolge Mike Oldfields ein, die in den letzten Jahren so interessante Alben wie die Andrew Taylors oder Robert Reeds hervorgebracht hat. Ähnlich wie der große Meister weiß Weyhing seine Instrumente effektvoll zu kombinieren, und schon über die Instrumentierung allein, Leben und Sterben der dicken Eiche zu illustrieren. Und ähnlich wie bei Oldfield gibt es bei Weyhing kaum einmal eine Hauptmelodie, die etwa als Gesangslinie in Frage käme. Die Melodien sind vielmehr subtiler, zurückhaltend ineinandergeflochten. Weyhing macht das mit sehr viel Geschmack und Gespür dafür, wann’s genug ist mit den vielen Melodien, den verschiedenen Schichten. Auch weiß er, Elemente Oldfield’scher Harmonik so einzusetzen, dass das Ganze zwar an den Meister erinnert, dabei aber immer eigenständig bleibt. Dafür, dass das Ganze über volle 30 Minuten trägt, sorgen wiederkehrende Motive und ihre Varianten; so kann man etwa die drei aufsteigenden Töne vom Anfang oder das Viertonmotiv im Bass in dem dichten Geflecht immer wieder entdecken.
Das Stück nimmt gegen Ende an Intensität zu, bis die Musik nach und nach abebbt, und schließlich verklingt. Und der Baum? Nach mehreren Anläufen ist es engagierten Menschen aus Hauenstein und Erfweiler gelungen, eine neue Eiche anzupflanzen. Bleibt zu hoffen, dass sie wächst und gedeiht, und selbst mindestens 300 Jahre alt wird.
“Clockwork for uncertain Times” rückt vom Oldfield-Approach ab, indem das Stück maschineller, kühler klingt. Dafür wirkt die Musik minimalistisch, berechneter. Das Layering-Prinzip wird beibehalten, ebenso die Polyrhythmik, und so bekommt man wirklich den Eindruck eines komplexen Uhrwerks, in dem zahlreiche Zahnrädchen verschiedener Größen ineinandergreifen.
Das abschließende “Silence and Ecstasy” beschreibt eine Mountainbike-Tour des passionierten Bikers Weyhing. Dementsprechend wieder abwechslungsreicher als “Clockwork for uncertain Times”, folgt man musikalisch einem Bike-Trail hinauf zu einem Aussichtspunkt, bis es von dort in rasender Fahrt wieder hinunter zum Ausgangspunkt geht.
Es gibt eine Diskussion darüber, welches Gewicht man Sound und Produktion bei der Bewertung von Musik einräumen sollte, und Gerd Weyhings “SubTerraMachIneA” ist, ähnlich wie “The Chaos Game” von Cabinets of Curiosity, das zur Zeit unser Zweittipp des Monats ist, ein weiteres in einer langen Kette von Argumenten dafür, dass man Sound und Produktion besser nicht besonders stark gewichten sollte. Bei der Bewertung von Musik, wohlgemerkt, nicht beim Genuss von Musik (der ist, häufig genug, davon vollkommen unabhängig). Denn Musik ist vom Talent abhängig, die klangliche Qualität bloß vom Geldbeutel. Wer wüsste das besser als ein Progfan! Von den heute technisch möglichen Klangwelten ist unsere Musik schließlich oft genug weit entfernt. Wer Musik wegen ihres Sounds ignoriert, oder wegen ihres Do-it-yourself-Approaches ablehnt, der hilft unserem Genre nicht nur nicht, er schädigt es sogar aktiv. Denn auf diese Weise bekommen ausgerechnet jene Musiker einen Malus, die ihn am wenigsten verkraften können: Die Jungen, die Unbekannten, die Bastler und Experimentierer. Weyhing ist einer davon. Gebt solchen Leuten eine Chance!
Nik Brückner, 28.03.2019, Babyblaue Seiten